Kunstverein

Kunstverein Eislingen

Was tut man, wenn man in einer kleinen Stadt wohnt und einen lebendigen Austausch mit zeitgenössischer Kunst und Künstlern pflegen möchte? Man kann sich in den Zug oder ins Auto setzen und in die größeren Städte zu Ausstellungen fahren. Man kann Zeitschriften, Bücher und Kataloge lesen. 
Man kann fernsehen oder im Internet surfen, all das. Aber es gibt noch eine weitere, zugleich praktische 
und wunderbare Möglichkeit – man gründet einen Kunstverein! Holt sich die Kunstwerke und ihre SchöpferInnen direkt nach Eislingen. Das macht noch mehr Freude.

Ganz so locker, wie es sich hier liest, ist solch ein Vorhaben natürlich nicht zu verwirklichen. Es brauchte nach der Gründung 1985, anfangs mit dem umständlichen und nicht recht entschiedenen 
Namen „Verein zur Förderung von Kunst, Kultur und Baudenkmalen“, einige Zeit, bis die Richtung klar wurde, in die der Weg gehen sollte. Doch seit 26 Jahren lädt nun der „kunstverein eislingen“ deutsche und internationale Künstler in die Stadt ein und nimmt so teil an der Diskussion über zeitgenössische Kunst, seinen Mitgliedern und allen Interessierten aus Nah und Fern ebenso zum Gewinn, wie den geförderten Künstlerinnen und Künstlern.

Von Anfang an vertrat der Kunstverein unter der engagierten Führung seines ersten Vorsitzenden Stephan Wünsche einen offenen Kunstbegriff. Zwar ist der Schwerpunkt die Bildende Kunst, die in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt wird (alle zwei Jahre eine Schau mit Arbeiten künstlerisch tätiger Mitglieder), aber auch Veranstaltungen mit Literatur, Musik, gelegentlich Performance und ähnlichen Ausdrucksformen werden angeboten. Die Künste suchen ja schließlich den Dialog miteinander. Kataloge dokumentieren ausgewählte Ausstellungen, dazu gibt es eine kleine, aber feine literarische Buchreihe, die ‚eislinger edition’. Zum Programm gehören bewusst gepflegte Highlights, wie vor allem zu Zeiten von Stephan Wünsche, die thematischen Ausstellungen – erinnert sei etwa an „Totentanz“, „Heimat“, „animal“, „Helden?“ oder die Kontroversen auslösenden Ausstellungen „Erotik?“ und „QUEER“. Später begann, vom derzeitigen Vorsitzenden Paul Kottmann initiiert und kuratiert, die international besetzte und wahrgenommene „biennale der zeichnung“ (seit 2004). DichterInnen, LiteraturwissenschaftleInnen und ÜbersetzerInnen kommen zu den seit 1995 ebenfalls zweijährlich stattfindenden Mühlberger-Tagen. Diese strahlen vor allem auch in die Tschechische Republik aus, wo sich, durchaus unter Mitwirkung der Eislinger Veranstaltungen mit ihren wechselnden Themen, ein Kreis von GermanistInnen mit dem in Böhmen geborenen Namenspatron beschäftigt. Der Pilsener Lyriker Josef Hrubý hat nach einer Lesung in Eislingen 2001 sein Gedicht „Josef Mühlberger“ geschrieben, in dem er „den Spuren der Vögel im Schnee/ zwischen Trautenau und Eislingen“ folgt.

Wen wunderts, dass ‚Eislingen’ durch diese Aktivitäten einen Namen in der Kulturszene bekommen hat? Zu den Eröffnungen der „biennale der zeichnung“ kommen meistens fast alle der etwa fünfundzwanzig eingeladenen KünstlerInnen, aus Hamburg und New York, München und London, Berlin und Wien, Stuttgart und Budapest, Bremerhaven und Göppingen … ‚Eislingen’ ist eine gute Adresse. Auf Paul Kottmanns Tischen stapeln sich die Bewerbungen. Die Räume in der Alten Post entzücken die Gäste, und so liegt nahe, dass viele Künstler eigens für ihre Ausstellung in der Galerie neue Arbeiten machen, oft Installationen, mit denen sie die anregende Raumsituation – ein großer und vier kleinere Räume – reflektieren. Die Alte Post nutzen zu können, ist ein wahrer ‚Aktivposten’, der Besucher erfasst das auf den ersten Blick. Überhaupt ist der Stadt für ihre unbürokratische Unterstützung des Kunstvereins zu danken.

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Längst ist die Arbeit des Vereins auch dauerhaft im Stadtbild sichtbar: Es begann mit der zeitweiligen Aufstellung jedes Mal heftig diskutierter Skulpturen im öffentlichen Raum, die ganz gelegentlich sogar angekauft wurden. Inzwischen wird Eislingen nicht zufällig ‚Kreiselstadt’ genannt, prägen ungewöhnliche, für manchen Betrachter unbequeme, immer aber anregende und aufregende Kunstwerke die Kreisverkehrsinseln der Stadt. Auch der neue ‚Poetenweg’ mit seinen 21 eleganten gläsernen Lyrik-Stelen gehört in diesen Zusammenhang. Diese Entwicklung hat der Kunstverein angestoßen, eine Erfolgsgeschichte.

Sicher, nicht immer machen es Kunstwerke ihren BetrachterInnen leicht. Aber wieso denn auch? Kunst ist für ihre Zeitgenossen niemals und nirgends schlicht konsumierbar gewesen. Die Welt und die menschliche Existenz sind komplex und kompliziert, wie kann da die Kunst (ebenso wie die Philosophie und die Wissenschaften) einfach sein? Aber ihre Betrachtung hält uns lebendig, kann uns Euphorien angesichts einer ins Auge springenden magischen oder einer sich erst auf den zweiten Blick zeigenden Schönheit schenken. Und das brauchen wir. Auch in Eislingen.

Tina Stroheker für das 2011 erschienene Stadtbuch „Eislingen. Stadt der Vielfalt.“