Ohne Titel
Brodmann, Vittorio
Vittorio Brodmanns Arbeiten wohnt die Spannung ihrer Entstehung inne. Farbe, Linie, Form und Figuration unterlaufen unsere Vorstellungen von Vorder- und Hintergrund sowie Erwartungen daran, wie ein Bild aufgebaut ist. Seine Malereien und Zeichnungen suggerieren oft eine totale Komposition, die sich als Reaktion auf spontane, zu Beginn des Schaffensprozesses intuitiv gesetzte Markierungen entwickelt. Die Dynamik der Arbeiten wurzelt jedoch in der Vielschichtigkeit ihrer verrätselten Szenen. Die Frage nach ihrer Entstehung gleicht damit dem Henne-Ei-Problem. In beiden Zeichnungen könnte nahezu jeder Tusche-, Grafit- oder Aquarellstrich genauso gut zuerst wie zuletzt aufgetragen worden sein. Dies verleiht den Arbeiten eine stetige Aktivität, die sich auch darauf überträgt, wie man diese figurativen Bilder liest. Alles scheint spontan entstanden zu sein, während zugleich der Eindruck einer bewussten Setzung erweckt wird. Unaufgelöste Widersprüche kommen plötzlich auf harmonische Weise zusammen. Die stringenten, geschliffenen Kompositionen spielen mit vielen Sprachen, wie dem Skizzieren in ein Notizbuch, der Planung einer Malerei oder dem Zeichnen eines Szenenbuchs für einen Film oder eines Panels für einen Comic. Die unbewegten Szenen verzichten weitestgehend auf erzählende Elemente, evozieren aber eine ganze Reihe von Gefühlen und Aktionen. Der so feinfühlige wie komplexe Aufbau der Arbeit erfüllt die Szenen mit Leben. Die Surrealität von Brodmanns Arbeiten wurzelt mehr im Leben als im Traum: Die Ganzheit dieser Arbeiten findet ihre Entsprechung in der Art, wie wir uns durch die Welt bewegen – wie wir sie betrachten und wahrnehmen, während wir uns selbst definieren.
– Mitchell Anderson