Jahresgabe

Face / 1098

Bircken, Alexandra

Alexandra Bircken setzt den Schnitt quer durch den Korpus eines Motorrads, einer Ducati, und legt damit nicht nur das überraschend biomorphe Innere der Maschine frei, sondern macht so auch bereits erarbeitete Verfahren wie die der Collage oder des Filmschnitts produktiv. Nach dem Filmregisseur Jean-Luc Godard ist jeder Schnitt eine Lüge. Er ist ebenso Zäsur wie potenzielle Verknüpfung. Die Schnittflächen in Birckens Skulpturen sind darüber hinaus Schnittstellen zwischen Medien und Systemen, die industrielle, künstlerische und biologische Produktion aufeinander beziehen. Die unmittelbare Anwendung des Schnitts auf ein warenförmig vorformuliertes Objekt, der präzise, brachiale Eingriff in die Struktur des Materials stellt wie in der klassischen Collage über die Trennung ein Moment der Verfremdung und Verbindung her, allerdings nicht in Bezug auf andere Bilder, sondern auf einen äußerst funktionalen Gegenstand, der unmittelbare Gegenwart verkörpert.

In dem Vorgang der Übertragung vom Industrieprodukt in eine Skulptur in ein Bild erfährt die Arbeit von Alexandra Bircken eine ästhetische Zuspitzung. Für die Jahresgabe hat sie die Schnittfläche des Motorrads in ein digitales Bild übersetzt, das dann als handgefertigter Siebdruck in Originalgröße vervielfältigt wurde. Der Druck ist folglich keine Frottage, keine 1:1 Übertragung. Trotzdem ist er vielmehr eine zarte indexikalische Spur, als eine Darstellung der realen Oberfläche der mit hohem technischem Aufwand zerteilten Maschine. Indem die Künstlerin verschiedene mediale Repräsentationen des nur für eine bestimmte Nutzung hergestellten Fahrzeugs durch diverse Kontexte zirkulieren lässt, begegnet sie der massiven Produktionslogik und Koppelung von Form und Funktion der leistungsstarken Bikes mit der Ambivalenz des Schnitts.

– Anette Freudenberger