Jahresgabe

Ohne Titel

Sandfort, Max

„Doch genau in diesem Augenblick verstärkte ein zweiter Hinweis jenen, den mir die beiden ungleichen Pflastersteine gegeben hatten, und mahnte mich, in der Verfolgung meines Zieles nicht nachzulassen. Ein Kellner hatte nämlich, in seinem vergeblichen Bemühen, keinen Lärm zu machen, mit einem Löffel an einen Teller gestoßen. Dieselbe Art von Glücksgefühl, wie es mir die ungleichen Bodenplatten geschenkt hatten, durchströmte mich; es waren noch immer Empfindungen großer Hitze, jedoch völlig andere: von einem Geruch nach Rauch durchzogen, vom frischen Aroma einer Schonung gemildert; und ich erkannte, dass das, was mir jetzt so wohltuend erschien, dieselbe Baumgruppe war, die zu beobachten und zu beschreiben ich so langweilig gefunden hatte, und vor der ich mich, während ich die Flasche Bier öffnete, die ich damals im Waggon bei mir hatte, für einen Moment wieder in einer Art von Taumel zu befinden glaubte, so deutlich hatte das Geräusch eines an einen Teller schlagenden Löffels mir, bevor ich Zeit gehabt hätte, mir dessen bewusst zu werden, die Illusion des vom Hammer eines Bahnarbeiters verursachten Geräuschs vermittelt, der irgendetwas an einem Rad des Zuges in Ordnung brachte, während wir bei diesem Wäldchen hielten.“ (Marcel Proust, Die wiedergefundene Zeit, Stuttgart 2016, S. 250 f.)

In Prousts Darstellung, in welcher der Klang eines Löffels die metallischen Geräusche der Arbeiten an einem Zug hervorruft, wird eine vergangene Empfindung aktualisiert, die die Zeit in sich zusammenfallen lässt. Dieser Vorgang, der auf den ersten Blick wie eine Erinnerung wirkt, ist eigentlich das Wiederauftreten einer intensiven vergangenen Erfahrung. Mit Henri Bergson kann man diesen Moment als eine Form des reinen Gedächtnisses beschreiben. Das Fortbestehen der Vergangenheit in der Dauer des Bewusstseins, in der Erinnerung keine Kopie des Gewesenen ist, sondern die Aktualisierung vergangener Erfahrungen, die als virtuelle Ganzheit im psychischen Unbewussten fortbestehen. 

Die Zeichnungen von Max Sandfort folgen einer ähnlichen Logik. Ihre unebenen Flächen, die sich wiederholenden Muster und ihre fragmentarische Unvollständigkeit erscheinen als Artefakte der Vergangenheit, in denen die Form ein Nebeneinander der Zeiten erzeugt und auf die Möglichkeit einer Vergangenheit verweist, die in der sinnlichen Unmittelbarkeit der Gegenwart aktualisiert wird.

– Emma Bieck