Künstler Gut Loitz
Verein zur Förderung von Kunst und Kultur in Loitz an der Peene.
Künstler Gut Loitz e. V. wurde 2013 von Künstlern und Kunsthistorikern zur Förderung des soziokulturellen Engagements gegründet.
Unser Vereinssitz, das ehemalige Reitertouristikheim Gut Loitz, befindet sich im Herzen von Mecklenburg-Vorpommern. In der vom Mainstream abgelegen Region liegt unser Fokus auf der Etablierung von Kunst und Kultur zur Stärkung des Gemeinsinns. Wir beheimaten junge Nachwuchskünstler und ihre temporären Ausstellungen auf der Grundlage partizipatorischer Projekte mit der in und um Loitz ansässigen Bevölkerung. Unser Ziel ist es, Besuchern und Teilnehmern das Werden und Wirken der Bildenden Kunst erlebbar zu machen.
Künstler Gut Loitz e. V. finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen sowie öffentlichen und privaten Förderbeiträgen.
B I L D E R V O R O R T
Benedikt Terwiel
26 | 06 | 20 - 25 | 07 | 2020
Ich bin kein Spezialist.
Als Künstler war es aber – glaub ich – schon immer
Teil unserer Tätigkeit der Welt Bilder gegenüberzu-
stellen, um zu sehen wie sie darauf und damit reagiert.
Was auch immer sie repräsentieren wollen, und sei
es nur sich selbst, ist es ihre Losgelöstheit von unserer alltäglichen visuellen Realität, ihre bestenfalls subtile Fremdheit, die es uns erlaubt, in ihrem Sinne anders auf die Welt zu blicken. Für heute geborene Passagiere des Raumschiffs Erde sind Bilder, denke ich, insbesondere auch ein Weg uns die Welt anzueignen, uns mit
ihr zu verstricken, um uns hoffentlich in ihr zuhause zu fühlen.
Den dystopischen Hauch einer im Übermaß als Bild vermittelten Welt haben wir in den letzten Wochen gespürt.
Die Welt, die man vor gefühlten Urzeiten betrat, indem man das Haus verließ, um Teil ihrer Öffentlichkeit zu sein (ein Schritt, der die Grundlage unserer Demokratie ist), war eingeschränkt worden, und wir bedienten uns der bildreichen Newsfeeds, Tweets und Posts, um uns ein Bild von ihr zu machen. TikTok, Instagram und
Facebook unterhielten uns mit Einblicken ins Leben anderer Monaden, und das Soziale verlegte sich in Chatrooms, WhatsApp und Zoom Meetings – auf Wunsch vor den austauschbaren Panoramen des IKEA („mehr Zeit für Dich“) Paradieses.
Bevor wir die Welt mit unseren Technologien verkleinern konnten, schrieb Hannah Arendt, hatten wir sie uns als Globus in unsere Wohnzimmer geholt, um sie
in Spielballgröße mit den Fingern vor uns kreisen zu lassen. Aber man musste den Globus einkaufen und nach Hause bringen. Sein digitaler, halböffentlicher Klon zog irgendwie von selbst bei uns ein, und es bleibt das Gefühl, den neuen Mitbewohner erstmal nicht mehr loszuwerden.
Er verdrängt Arendts 20.-Jahrhundert-Globus und lässt die Welt, wie sie es wohl kaum vermuten konnte, noch weiter zum unsichtbaren Infrastrukturprovider schrumpfen. Nur die Erinnerung ans Spiel hat sich in dem neuen, ständig an Sichtbarkeit gewinnenden und wachsenden virtuellen Kosmos erhalten.
Benedikt Terwiel, 2020
D I S C O . V E R Y
Katrin Pieczonka
08 | 08 2020 - 26 | 09 | 2020
„Ich frage mich, wie die Erinnerung funktioniert und
ob sie das Bild generiert – oder umgekehrt. Aber weitestgehend betrachte ich jedes Bild als abstraktes Werk, das Malen als Spiel mit dem Material – dem Bildträger und der Farbe. In erster Linie geht es mir um Farbe, um eine Experimentierlust, die das Spiel mit freien Formen und wiederkehrenden Mustern, mit Linien und Kästchen und Kreisen, aber auch mit spontanen Setzungen beinhaltet.
Im Malprozess versuche ich immer wieder, mich selbst zu überraschen oder zu überrumpeln. Ich mache etwas, ich sehe, und ich reagiere darauf. Ich mag es, wenn im Bild etwas offen ist – Lückenhaftigkeit in Analogie zur Begrenztheit des Erinnerungsvermögens und als Ausdruck der Freiheit und Offenheit des Mediums Malerei.
Meine Malerei macht ihren Entstehungsprozess teilweise sichtbar, der Inhalt von Malerei ist für mich Malerei.“
Gegenständliche Fragmente schwimmen wie Eisschollen durch Katrin Pieczonkas Werke. Man kann sich auf ihnen durch die Bilder hindurch tasten. Sie wecken Erinnerungen und beschwören Stimmungen herauf, ohne erzählerisch zu sein. Gegenständlichkeit und Abstraktion sind für die Malerin aus Schleswig-Holstein keine Gegensätze, sie treten als gleichberechtigte Formelemente in ihren Arbeiten auf. Für ihre Malerei sammelt Katrin Pieczonka Erinnerungen an Orte, räumliche, architektonische oder landschaftliche Spuren, die
dann in ihrer Malerei abstrakten Flächen, Farbverläufen, Spiegelungen, geometrischen Figuren und Wiederholungen begegnen.
So entstehen Durchblicke, wechselnde Perspektiven, schroffe Brüche. Durchgearbeitete Stellen treffen auf skizzenhaft Stehengelassenes, Reste grundierter Leinwand auf vielfache Überarbeitungen, stumpfe auf glänzende Farbe, Ruhe auf Unruhe.
In der Loitzer Ausstellung entsteht darüber hinaus
eine besondere Begegnung, denn Katrin Pieczonka
entwickelt im Peenetranz eine Wandmalerei, die mit ihren Leinwandarbeiten einen Dialog eingeht, der alle Sinne anspricht.
Katrin Pieczonka, 2020
Im letzten Semester erreichten auch die Studierenden der Bildenden Kunst täglich Aufgaben in digitaler Form. Digital Detox – kaum möglich! Statt dessen Pixelflimmern und rechteckige Augen.
Zu hoffen war, dass sich dieser Zustand nicht auf unser Denken
und Handeln ausweiten würde. Der Platz vor dem Rechner kann die Atmosphäre im Malsaal oder in den Werkstätten nicht ersetzen, den Geruch von Terpentin, die tonverschmierten Hände, das Rascheln von Papier oder das kratzende Geräusch der Kaltnadel. All das und noch viel mehr an sinnlichem Erleben ist nötig, um in unserem Bereich zu gestalten. Die akademischen Zeiten von „Skizze zum Entwurf zum Werk“ sind längst vorbei. Vieles entwickelt, ver-
ändert sich beim Machen selbst.
Mitunter entsteht die Idee erst aus dem Frust, der uns die misslungene Zeichnung zerreißen ließ. Machen und sehen, anfangen, verwerfen und wieder schauen, neu beginnen...
Das musste nun überall stattfinden, eben nur nicht in unseren Werkstätten zu den festgelegten Zeiten. Das aber war auch eine Chance! Prof. Peter Brugger, Verhaltensneurologe, bringt es auf
den Punkt: „Kreativität zeichnet sich gerade dadurch aus, über herkömmliche Kategorie-Grenzen hinweg zu assoziieren.“
Kopf als Thema, digital, analog, improvisiert, misslungen, geschafft! Nils Dicaz, Greifswald 2020