Jahresgabe

More London

Gili Tal

More London zeigt eine gewöhnliche Stadtlandschaft mit Gebäuden, Stadtmobiliar, Straßenpflaster und Menschen. Die Szene wirkt vertraut und vollkommen zeitgenössisch, fast schon banal – wie ein Genrebild oder ein mit Photoshop erstelltes Stockfoto, das in leuchtenden Farben ausmalt, wie das Leben sein könnte. Ein Bild, das im Büro von Immobilienmakler*innen und Investor*innen nicht fehl am Platz wäre, denn heutige Stadtentwicklung oder Stadterneuerung erscheint als Prozess zumeist generisch. Als Signifikanten der Entfremdungsprozesse wirtschaftlichen Lebens werden Metropolen zu Treibhäusern neuer Formen der Eingrenzung und Privatisierung von Raum, inklusive der zugehörigen Überwachungs– und Monetarisierungsregimes, und erleichtern damit die vollständige Administration des Alltags. Doch was dieses alltägliche Bild städtischen Lebens sichtbar macht, ist die Abwesenheit der Gewalt, die in der Realität geleugnet wird: „Mehr London“ bedeutet mehr Bauprojekte und mehr Akkumulation von Kapital durch Zins- und Mieteinnahmen aus Vermögenswerten wie Land und Immobilien. Es bedeutet auch eine von Diskriminierung und Rassismus geprägte Stratifikation entlang sozialer Klassen und mit ihr die Zerstörung diverser Lebenswelten durch die Enteignung von Umwelt und die Verdrängung bestimmter Communitys. Geht es bei diesem Porträt der Stadterneuerung, also bei der Idee von „Mehr London“, nicht in Wirklichkeit um die Gewalt extraktiven Urbanismus, um die Nutzbarmachung von Raum, Wert und Infrastruktur und um die Konstruktion von Lebensweisen, die den Prozessen kapitalistischer Wertschöpfung und dem Profit unterliegen, zur anhaltenden Privilegierung weniger?

David Bussel